New Hiring

Job-Crafting: Wenn Mitarbeiter·innen ihre Jobs selbst gestalten

Yee Wah Tsoi
8 min.

Dienst nach Vorschrift – allzu häufig wird in den Büros nach diesem Schema gearbeitet. Individuelle Entfaltung bleibt dabei leider auf der Strecke. Dabei könnten Unternehmen stark von Mitarbeiter·innen profitieren, die – intrinsisch motiviert – ihre eigenen Werte, Stärken und Interessen in ihre Aufgaben einbringen. Dass sie dabei ihr tatsächliches Tätigkeitsfeld überschreiten, ist erwünscht. Dieser Ansatz nennt sich „Job Crafting“. Wir haben mit der Journalistin und New Work Expertin Nicole Thurn darüber gesprochen, welche Chancen sich daraus für Arbeitgeber·innen ergeben.

Im Gespräch mit New Work Expertin Nicole Thurn

Nicole Thurn, Journalistin und New Work Expertin

Hallo Nicole, Du warst fast 10 Jahre lang beim Kurier tätig, einer bekannten Tageszeitung in Österreich, und hast dort im Karriere-Ressort gearbeitet. Seit 2017 betreibst Du das Portal Newworkstories.com. Wie kam es dazu, dass Du Dich zu diesem Schritt entschieden hast?

Ich habe damals viel im Sinne der „alten Arbeitswelt“ berichtet, über steile Karrieren, Manager-Boni, Mitarbeitermotivation. Interessiert haben mich stets alternative Denkweisen und Modelle, die mehr den Menschen in den Fokus rücken. Ich habe schon länger davon geträumt, mich selbstständig zu machen und mehr mit Menschen direkt zu arbeiten. Durch interne Veränderungen habe ich dann den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt.

Heute arbeite ich als Bloggerin, freie Journalistin, Kommunikationsberaterin für New Work Unternehmen, als Moderatorin und Workshopleiterin und bin sehr glücklich darüber. Ich probiere mich und verschiedene Ansätze aus und kann so meine Stärken sehr vielseitig einsetzen. Auch mein Arbeitsbegriff hat sich verändert: Vieles, was sich tue, fühlt sich gar nicht wie Arbeit an.

New Work ist das bestimmende Thema unserer Zeit. Was bedeutet der Begriff für Dich ganz persönlich?

Unter „New Work“ wird heute sehr vieles verstanden: Home-Office, Agiles Management, Vertrauensarbeitszeit, neue Organisationsmodelle. Ich fürchte, allzu oft wird reflexartig auf den Marktdruck reagiert. Unternehmen wollen plötzlich „agil“ werden, aus Angst davor, sonst unterzugehen oder weil es Mitbewerber·innen auch tun.

Dass echte Veränderung aber auch Nebenwirkungen hat und Zeit braucht, damit sind dann viele überfordert. Hinzu kommt: Ein schönes Großraumbüro macht noch keine neue Unternehmenskultur. Ein Unternehmen besteht in erster Linie aus Beziehungen unter Menschen – die muss man auch bewusst gestalten.

Für mich impliziert „New Work“ daher vor allem ein neues Menschenbild: nämlich die Mitarbeiter·innen als ebenbürtige Menschen mit vielen Potenzialen und Interessen zu sehen, die sehr wohl selbst Entscheidungen treffen können – wenn die Rahmenbedingungen fördernd und der Sinn nachvollziehbar für sie sind. Nur so können sie wertvolle Mitarbeiter·innen binden und als Arbeitgeber·in attraktiv bleiben.

So funktioniert Job-Crafting

Auf den New Work Sessions in Wien hast Du über die Themen „Job Crafting“ und „Design your Job“ gesprochen. Was ist der Kern dieser Ideen und welche Vorteile ergeben sich für die Mitarbeiter·innen? Inwiefern kann auch der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin davon profitieren?

Studien zeigen: Bis zu drei Viertel der Mitarbeiter·innen in Deutschland machen Dienst nach Vorschrift. Oft sind es viele Kleinigkeiten, die für Unzufriedenheit sorgen. Generell verschwenden wir zu viel Energie mit Aufgaben, die uns vielleicht gar nicht liegen, mit ineffizienten Meetings, mit schwelenden Konflikten oder Befindlichkeiten. Hinzu kommt, dass Jobs künftig sehr fluide sein werden: Es wird flexible Rollen und Aufgaben geben – starre Stellenbeschreibungen passen nicht mehr in die neue Arbeitswelt. Wir müssen unsere Arbeit also ohnehin überdenken.

Die Zeit ist reif für New Hiring!

New Hiring ist die strategische Antwort für eine nachhaltig erfolgreiche Zukunft im Recruiting. In diesem kostenlosen E-Book finden Sie auf mehr als 330 Seiten geballtes Know-how für Ihre Personalgewinnung!

Generell verschwenden wir zu viel Energie mit Aufgaben, die uns vielleicht gar nicht liegen, mit ineffizienten Meetings, mit schwelenden Konflikten oder Befindlichkeiten.

Job Crafting ist ein Trainings-Ansatz aus den USA, der von den Forscherinnen Amy Wrzesniewski und Jane E. Dutton, entwickelt wurde. Er geht davon aus, dass Mitarbeiter·innen ihren Job nach ihren Bedürfnissen selbst gestalten, um ihre intrinsische Motivation zu steigern. Hier geht es oft um kleine Schrauben, an denen gedreht wird: Aufgaben, die sie passend zu ihren Werten, Stärken und Interessen modifizieren und leicht umverteilen. Oder verbesserte Arbeitsbeziehungen unter Kolleg·innen.

Oft entstehen durch Job Crafting Ideen für innovative Projekte und abteilungsübergreifende Zusammenarbeit, die auf das gesamte Unternehmen positiv ausstrahlen. Ein Beispiel: ein IT-Techniker, der gern mehr mit Menschen zu tun hätte, könnte Trainings für Kolleg·innen geben. Oder: eine Marketingassistentin, die gern Journalistin geworden wäre, könnte vertiefende Interviews mit Kunden führen und so mehr Kundenorientierung in die Marketingkampagnen bringen.

Ich habe beim KURIER interne Talks initiiert und Kolleg·innen über ihre Jobs interviewt, damit auch andere Abteilungen mehr darüber erfahren. Klar, es gab dafür kein Extrageld, aber es hat mir Sinn gegeben, Leute zusammenzubringen, die wenig miteinander zu tun hatten. Für Unternehmen ist Job Crafting eine Chance, die Potenziale und Motivation der Mitarbeiter·innen freizusetzen.

Job-Crafting
„Job Crafting“: Journalistin und New Work Expertin Nicole Thurn erklärt, welche Chancen sich daraus für Arbeitgeber·innen ergeben.

In Deiner Session hast Du nicht nur Beispiele aus der Praxis präsentiert, sondern die Teilnehmer auch Übungen ausführen lassen. Wie funktionieren diese Übungen und wie fallen die Reaktionen am Ende für gewöhnlich aus?

Ich gebe einen ersten Vorgeschmack auf meine Workshops „Re-Create your Job“, die Elemente aus den Ansätzen Job Crafting, Designing Your Life von Bill Burnett und Dave Evans und Design Thinking vereinen. Ich gehe dabei vom einzelnen Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin aus, um besagte intrinsische Motivation wieder in den Fokus zu rücken. Es gibt immer wieder Aha-Erlebnisse: Die Menschen beginnen plötzlich, klarer zu sehen, was sie wollen und was sie nicht mehr wollen. Man kann immer selbst etwas zur eigenen Zufriedenheit beitragen.

Oft ist unsere innere Haltung auch zu stark auf Negatives gerichtet oder wir haben eine Opferhaltung eingenommen. Unternehmen müssen natürlich bereit sein, Raum für Veränderung zu ermöglichen. Ihr Lohn sind im Idealfall zufriedene Menschen in den richtigen Jobs, die man gar nicht mehr zu motivieren braucht. Und wer Angst hat, dass sich Mitarbeiter·innen verabschieden: Das sind dann jene, die sowieso schon innerlich gekündigt haben.

Geht die Schere zwischen „Old“ und „New“ Work auseinander?

Eine etwas provokante Frage: Muss man sich New Work „leisten“ können? In vielen traditionellen Branchen oder klassischen Tätigkeitsfeldern herrschen noch Arbeitsbedingungen wie früher. Auch auf Newworkstories.com überwiegen Stories von jüngeren und kreativen Bereichen – wie die Online- oder Medienbranche. Was meinst Du: Geht die Schere zwischen „Old“ und „New“ Work auseinander oder werden die tradierten Unternehmen mitgezogen?

New Work findet derzeit noch stark in der Wissensarbeit statt und wird auch sehr elitär diskutiert. Auf Konferenzen findet man ausschließlich Führungskräfte und HR-Leute. Daher organisiere ich auch Meetups, bei denen sich alle Interessierten austauschen können. New Work sollte ganz und gar nicht elitär sein, wenn ich an den Begründer Frithjof Bergmann erinnern darf: Er hat mit Menschen in Slums und einfachen Arbeiter·innen gearbeitet. Auch sie haben ein Recht auf Partizipation und Mitgestaltung ihrer Arbeit. Wenn es darum geht, mehr Wertschätzung, Selbstverantwortung, Mitsprache und intrinsische Motivation ins Unternehmen zu integrieren, kann jedes Unternehmen profitieren.

Es gibt diverse Beispiele von Unternehmen aus dem Produktions- und Vertriebsbereich wie Premium-Cola, Falke Allsafe, Tele Haase oder der Pflegedienstleister Buurtzorg. Es ist keine Sache der Branche, sondern des Willens. Was nicht heißt, dass es einfach ist: Veränderung tut weh. Ich bin mir auch sicher, es existieren viele eigentümergeführte Unternehmen, die noch unentdeckt sind. Genau sie möchte ich vor den Vorhang holen – also meldet Euch bitte gern bei mir!

Man kann immer etwas tun. Als Erstes sollte man dort beginnen, wo man Einfluss hat: bei sich selbst, im direkten Umfeld, im eigenen Team.

Was empfiehlst Du Unternehmensvertreter·innen – bspw. Personaler·innen – die von New Work Ansätzen begeistert sind, aber keine Chance sehen, diese in die Praxis umzusetzen oder überhaupt erst bei den Entscheider·innen anzubringen?

Man kann immer etwas tun. Als Erstes sollte man dort beginnen, wo man Einfluss hat: bei sich selbst, im direkten Umfeld, im eigenen Team. Daher fokussiere ich auch auf „Re-Create your Job“: Hier üben wir, Bewährtes zu hinterfragen, neue Ideen umzusetzen, mit anderen zu kollaborieren. Man könnte auch einen Working-out-loud-Circle mit Mitarbeiter·innen aus anderen Abteilungen gründen, eine wunderbare Art, um voneinander zu lernen. Oder im Team Collaboration-Apps testen. Durchs Probieren entstehen neue Erkenntnisse und neue Ideen – mit den ersten Erfolgen kann man später größere Projekte bei Entscheider·innen besser argumentieren. Wichtig sind kleine, aber kontinuierliche Schritte der Veränderung: Hier reichen anfangs zwei, drei Stunden Arbeitsaufwand pro Woche. Also: Einfach mal im Kleinen machen und nicht groß fragen.

Was Sie außerdem interessieren könnte:

Employer Branding

Kulturwandel in Unternehmen: Von Purpose, Flexibilität und Visionen  

Passende Bewerbende bleiben aus? Neue Mitarbeitende verlassen das Unternehmen (viel) zu früh? Dann braucht es möglicherweise einen Kulturwandel im Unternehmen. Wie dieser gelingt, erfahren Sie im Be…

Michael Rothschädl
Recruiting-Wissen

Cawa Younosi im Interview über People Experience und Trends in HR & Recruiting

Im Interview mit onlyfy spricht HR-Experte Cawa Younosi über Trends und Herausforderungen in HR & Recruiting sowie den Stellenwert der People Experience.

Michael Rothschädl