Recruiting-Wissen

Kompetenzbasiertes Recruiting: Wenn der Lebenslauf an Relevanz verliert

Michael Rothschädl
6 min.

Welchen Stellenwert kann die Auflistung der beruflichen Stationen, das Aushängeschild schlechthin in traditionellen Bewerbungsprozessen, unter derzeitigen Wettbewerbsbedingungen noch haben? Können Noten, frühere Arbeitgeber & Co wirklich weiterhin die wichtigste Entscheidungsgrundlage im Bewerbungsprozess darstellen?

Ein moderner Zugang zur Personalbeschaffung sagt ganz klar: Nein. Dieser Zugang nennt sich kompetenzbasiertes Recruiting und wendet sich von den Jahren an Berufserfahrung, dem Renommee der besuchten Universitäten und dem Blick auf die Abschlusszeugnisse entschlossen ab.

Vielmehr stehen die tatsächlichen Qualifikationen, die Kompetenzen, der Talente im Fokus. Und dieser Zugang findet Anklang. 73 % der Personaler·innen etwa gehen einer 2023 erschienen Studie zufolge davon aus, dass kompetenzbasiertes Recruiting in den kommenden eineinhalb Jahren in ihrem Unternehmen zu einer Priorität wird.¹

Inhalt:

Definition: Was ist kompetenzbasiertes Recruiting?

Kompetenzbasiertes Recruiting ist ein Ansatz zur Personalbeschaffung, der die Eignung von Kandidat·innen auf Basis von fachlichen und persönlichen Fähigkeiten, den sogenannten Kompetenzen, bemisst.

Dabei rücken die Stationen im Lebenslauf und das besuchte Studium in den Hintergrund. Vielmehr wird zwischen den Zeilen gelesen, um zu ermitteln, welche tatsächlichen Skills Talente in den Job mitbringen.

Kompetenzbasiertes Recruiting gewinnt seit einiger Zeit massiv an Relevanz

Das erfordert zweifelsohne ein Umdenken im gesamten Recruiting-Prozess: Denn nicht mehr die erforderliche Ausbildung und Berufserfahrung sollte vorab definiert werden, vielmehr geht es darum, klar festzulegen, welche Kompetenzen das Talent für diese Position mitbringen sollte.

Welche Vorteile bringt kompetenzbasiertes Recruiting?

Während ein traditioneller Zugang zum Recruiting auf die Vergangenheit blickt – nämlich die Vorerfahrung des Talents –, richtet kompetenzbasiertes Recruiting seinen Blick in die Zukunft. Die entscheidende Frage ist dabei: Welche Eigenschaften muss ein Talent mitbringen, um auf dieser Position in Zukunft erfolgreich zu sein?

Überhaupt ist die Einschätzung des Kompetenzprofils von Mitarbeitenden zunehmend ein entscheidender Faktor. Für fundierte Talent-Entscheidungen, darüber sind sich 94 % der Recruiter·innen in D-A-CH einig, ist es wichtig, zu wissen, welche Kompetenzen Mitarbeitende mitbringen – und welche nicht.1

Durch die Abwendung von den Stationen im Lebenslauf gewinnen aber nicht nur die tatsächlichen fachlichen Fähigkeiten an Bedeutung, insbesondere die Soft Skills erleben einen völlig neuen Stellenwert.

Und diese sind tatsächlich ein wesentlicher Faktor: Wie Statista feststellen konnte, werden Soft Skills wie etwa Einsatzbereitschaft (50 % der Anzeigen) oder Team-Fähigkeit (36 % der Anzeigen) immer häufiger auch in Job-Anzeigen genannt.²

Zudem steigern Sie die Diversität in Ihrem Team, die wiederum erwiesenermaßen einen positiven Beitrag zur Gesamtproduktivität leisten kann. Denn durch kompetenzbasiertes Recruiting erhalten auch Talente eine Chance, die vielleicht nicht den einen Schul- bzw. Studienabschluss mitbringen, den Ihre restliche Belegschaft aufweist. Dafür aber weisen diese Talente die richtigen Hard und Soft Skills auf.

Schlussendlich können Sie durch den tiefergehenden Blick auf die Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften auch die kulturelle Passung des Talents, den Cultural Fit, priorisieren. Denn nur Talente, die auch wirklich zum Unternehmen und dessen Kultur passen, können langfristig erfolgreich arbeiten.

Wie können Sie kompetenzbasiertes Recruiting in der Praxis umsetzen?

Kompetenzbasiertes Recruiting bringt vielfältige Vorteile, gleichzeitig macht es den Einstellungsprozess aber auch komplexer. So gaben etwa nur 54 % der Personaler·innen in D-A-CH an, derzeit in der Lage zu sein, die Kompetenzen von Talenten wirklich richtig einzuschätzen.

Umso entscheidender ist es, dass Sie einen strukturierten Prozess etablieren, um kompetenzbasiertes Recruiting nachhaltig in Ihrem Unternehmen zu verankern. Dafür sollten Sie folgende Schritte befolgen:

Verschaffen Sie sich einen Überblick über die aktuelle Kompetenz-Lage

Um erfolgreich kompetenzbasiertes Recruiting in Ihrem Unternehmen zu etablieren, gilt es zunächst, den Status quo aufzeigen. Ermitteln Sie also, welche Kompetenzen bereits in Ihrem Unternehmen vorhanden sind, und wo es noch Lücken zu füllen gibt.

Für eine starke kompetenzbasierte Personalstrategie blicken Sie nicht nur auf den Status quo bei Ihrer Belegschaft, sie sollten auch festhalten, in welche Bereiche sich Ihr bestehendes Personal weiterentwickeln kann.

So können Sie ein klares Kompetenzprofil erstellen, das Ihre Wünsche an die zukünftige Stellenbesetzung erfüllt. Dabei sollten Sie nicht nur auf die Position selbst, sondern auch auf das Teamgefüge blicken: Hier ist es oftmals entscheidend, ein breites Feld an Kompetenzen durch verschiedene Mitarbeitende abzudecken.

Bewerbende anders betrachten

Nun kommt es zum entscheidenden Umdenken: Mit Blick auf den Lebenslauf scannen Sie nicht mehr die Jahre an Berufserfahrung, die Ausbildung und die früheren Stationen: Vielmehr blicken Sie auf die Tätigkeiten, die das Talent abgewickelt hat. Oder aber auch die Hobbies, die Interessen, die genauso Aufschluss über die Persönlichkeit des Talents geben können.

Die New Work SE hat es für die Rekrutierung von Mitarbeitenden für das Sales-Team etwa gänzlich ohne CV gelöst und stattdessen mit einer strukturierten Abfrage auf für den Vertrieb wichtige Persönlichkeitsmerkmale abgezielt. Mehr dazu erfahren Sie im Blog-Beitrag zum Bewerbungsprozess der Zukunft.

Eine weitere Chance im kompetenzbasierten Recruiting bietet die Suche nach geeigneten Talenten über Active Sourcing. In Tools wie dem onlyfy TalentManager können Sie gezielt nach Fähigkeiten suchen und sich so bereits in der Suche von traditionellen Faktoren abwenden.

Wie Sie es auch drehen und wenden: Sehen Sie sich an, was der Lebenslauf und das Anschreiben über die Person aussagt. Wie tickt dieser Mensch? Was treibt ihn an? Welches fachliche Know-how lässt sich ablesen?

Stellen Sie die richtigen Fragen

Beim Lebenslauf ist es oftmals durchaus schwierig, von den nackten Zahlen und Stationen abzusehen. Sobald Sie mit einem Talent bei einem Bewerbungsgespräch aber in Dialog treten, haben Sie die Chance, sich die wirklich wichtigen Informationen zu verschaffen.

Unter unseren Vorlagen finden Sie zahlreiche Muster für Interviewfragen, die Ihnen dabei helfen, Soft Skills im Bewerbungsgespräch abzufragen:

Kompetenzbasiertes Recruiting – Fazit

Keine Veränderung ist einfach. Vor allem wenn sie Prozesse betrifft, die seit Jahren (durchaus erfolgreich) funktioniert haben. Vor dem Hintergrund sich stark im Wandel befindlicher Wettbewerbsumstände am Arbeitsmarkt wird gleichwohl deutlich, dass diese Veränderung notwendig ist.

Kompetenzbasiertes Recruiting rückt die fachlichen und persönlichen Qualifikationen eines Menschen ins Zentrum – und ist damit weit besser dafür geeignet, diesen auf die Eignung hin zu beurteilen, als die Ausbildung oder die nackten Stationen im Lebenslauf.

Durch kompetenzbasiertes Recruiting stellen Sie Talente ein, die Ihre Teams durch Ihre einzigartigen Fähigkeiten wirklich bereichern, die die Diversität in Ihrem Unternehmen erhöhen und die einen hohen Cultural Fit aufweisen.

Insbesondere letzterer ist ein wichtiger Faktor, um Talente einzustellen, die Ihrem Unternehmen auch langfristig erhalten bleiben. Schaffen Sie mit kompetenzbasiertem Recruiting also die Rahmenbedingungen, um fachlich, menschlich und kulturell das Perfect Match zu finden.  

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¹ LinkedIn, Future of Work 2023, 2023.

² Statista, Geforderte Soft Skills in Jobanzeigen `21, 2022.