Recruiting-Wissen

Recruiting in der Pflege: „Hier umso wichtiger, digitale und analoge Kanäle miteinander zu verbinden“  

Michael Rothschädl
10 min.

Der Recruiting-Experte Aaron Noack hat neben seiner aktuellen Tätigkeit im White-Collar-Bereich bei der New Work SE auch Erfahrung im Recruiting für die Gesundheits- und Pflegebranche vorzuweisen.  

Experte Aaron Noack erklärt im Interview, was im Recruiting in der Gesundheitsbranche zu beachten ist

Im Interview erklärt der Spezialist, welche zentralen Unterschiede zwischen den beiden Bereichen vorliegen und wie Unternehmen auch in einem derart umkämpften Arbeitsmarkt wie im Gesundheits- und Pflegebereich erfolgreich rekrutieren können.  

Aaron, du hast Erfahrung im Recruiting in der Pflege und Gesundheitsbranche. Was macht die Arbeit in der Personalgewinnung in diesem Bereich besonders? 

Da gibt es verschiedene Faktoren: Die Gesundheits- und Pflegebranche ist ein Bereich, in dem die Situation vor Ort eine entscheidende Rolle spielt. Für viele Mitarbeitende in diesem Bereich ist diese nämlich die Entscheidungsgrundlage Nummer eins bei der Arbeitgeber-Wahl: Wie sieht die personelle Situation aus? Gibt es ausreichend Budget für die Betreuung der Patient·innen? Das sind Fragen, die bereits im Recruiting wesentlich sind.  

Zudem muss auch festgehalten werden, dass in der Pflege die klassischen Benefits viel schwieriger einzusetzen sind. Im White-Collar-Bereich können wir recht einfach mit Home-Office, Mobile-Work oder Workation Anreize schaffen – in dieser Branche ist das aber schlichtweg nicht möglich.   

Diese Branche ist gleichzeitig eine, auf die der Fachkräftemangel einen ganz besonders starken Einfluss hat. Was sind aus deiner Sicht die größten Herausforderungen im Pflege- bzw. Gesundheitsrecruiting?  

Der Fachkräftemangel beeinflusst die Personalsituation in dieser Branche natürlich ganz besonders gravierend. Aufgrund der geringen Attraktivität der Branche gibt es schlichtweg sehr wenige Menschen, die hier arbeiten möchten, weshalb sich Unternehmen auf neue Methoden in der Personalgewinnung fokussieren sollten.  

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In der Regel ist es zudem selten, dass Arbeitnehmer·innen in diesem Bereich für einen Job umziehen oder eine lange Anfahrtszeit in Kauf nehmen. Deswegen eifern einige Unternehmen um wenige Arbeitskräfte in einer Region. Hier müssen Sie als Unternehmen versuchen, sich von Ihrem Wettbewerb abzuheben – und zwar einerseits über das Angebot, das Sie als Arbeitgeber bieten, und andererseits über Ihren Ruf.  

Was würdest du Unternehmen empfehlen, um diesen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen?  

Zum einen ist natürlich klar, dass Sie einen Aspekt finden müssen, mit dem Sie sich von Ihren Wettbewerbern abheben können. Hierbei sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt – sei es die Gratis-Pizza, die Sie einmal pro Monat zur Verfügung stellen oder ein besonderes Empfehlungsprogramm, mit dem Sie Mitarbeiter·innen-Empfehlungen entsprechend vergüten.  

Zum anderen geht es aus meiner Sicht auch ganz klar um Ihren Ruf als Arbeitgeber: Hierfür spielt natürlich Mund-zu-Mund im Einzugsgebiet eine entscheidende Rolle, gleichzeitig sollte aber auch Ihre Online-Präsenz einen guten Eindruck machen – sei es die eigene Website oder ein ansprechendes Social-Media- oder kununu Profil.  

Schließlich gilt es in einem derartig umkämpften Markt mehr denn je, kreativ zu sein und „out of the box“ zu denken. Im Recruiting geht es darum, kreative Wege zu finden, um Arbeitskräfte zu erreichen – und zwar sowohl im digitalen, aber auch im analogen Bereich.  

Ein umkämpfter Markt bedeutet im Recruiting zumeist, in eine breitere Strategie zu investieren und diverse Kanäle zur Suche von Mitarbeiter·innen zu kombinieren. Welche Recruiting-Maßnahmen siehst du aus deiner Erfahrung als besonders vielversprechend?  

In diesem speziellen Umfeld ist es umso wichtiger, dass Sie analoge und digitale Kanäle im Recruiting miteinander kombinieren. Während wir für Führungspositionen häufig auf die Direktansprache und Active Sourcing gesetzt haben, war es bei den Pflegepositionen oftmals auch der klassische Flyer mit einem QR-Code, um Aufmerksamkeit für seine offenen Positionen zu generieren. 

Gleichzeitig sehe ich aber auch in der zielgerichteten Ausspielung von offenen Stellen über soziale Medien, Nischen-Plattformen & Co enormes Potenzial. Das setzt natürlich voraus, dass der gesamte Online-Auftritt des Unternehmens stimmt – und zwar auf Facebook, auf der Homepage und auch auf Arbeitgeber-Bewertungsplattformen wie kununu. Hier ist es wesentlich, ganzheitlich zu denken.  

Zudem wird es immer häufiger notwendig – vor allem ab einer bestimmten Größe  –, Aktivitäten auch im Ausland zu setzen. Hier empfiehlt es sich zumeist, mit Kooperationspartner·innen vor Ort zusammenzuarbeiten.  

Was bedeutet diese angespannte Situation aus deiner Sicht für die Gestaltung des Bewerbungsprozesses?  

Der Bewerbungsprozess ist hier natürlich stark abgespeckt. In der Regel ist man froh, dass es überhaupt jemanden gibt, der sich für diese Positionen interessiert. Der Lebenslauf und die Vorerfahrung spielen hier vorab eigentlich keine Rolle. In der Regel geht es für Recruiter·innen hier vielmehr darum, schnell Führungskraft und Bewerbende zu vernetzen und ein persönliches Gespräch vor Ort zu ermöglichen.  

Schnelligkeit, das möchte ich noch einmal betonen, ist hier zumeist der entscheidende Faktor. Denn man muss davon ausgehen, dass sich die raren Arbeitskräfte gleichzeitig an mehrere Unternehmen wenden. Je schneller Sie hier sind, desto höher die Chance, dass sich die Arbeitskraft schließlich auch für Sie entscheidet. Und wir sprechen hier nicht von einigen Wochen, sondern einigen Tagen.  

Wie kann die Technologie in diesem Feld bei der Erreichung von Recruiting-Zielen unterstützen? Welche Lösungen sind für dich nicht wegzudenken?  

Natürlich spielen auch digitale Recruiting-Lösungen eine entscheidende Rolle. Ab einer gewissen Anzahl an zu besetzenden Stellen – und das ist in einem Bereich mit einer derart hohen Fluktuationsrate sehr schnell gegeben – kommt man an einem Bewerbermanagementsystem eigentlich nicht vorbei. Diese ersparen nicht nur wesentliche Zeit in der internen Verwaltung, auch aufseiten der Bewerbenden kommt die professionelle Kommunikation und Prozessgestaltung gut an.  

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Zudem ist es immer empfehlenswert, wenn Sie Zugriff auf ein Active-Sourcing-Instrument haben – insbesondere, was Führungspositionen betrifft. Darüber hinaus sehe ich noch zwei wesentliche Aspekte, wo Technologie den Unterschied machen kann: Einerseits das Employer Branding, wenn Sie auch auf digitalen Kanälen ein positives Arbeitgeber-Image aufbauen. Andererseits unterstützen einige Online-Stellenanzeigen-Anbieter bei der Veröffentlichung Ihrer Anzeige auf entsprechenden Job- und Social-Media-Plattformen, auf denen Sie auch Pflegekräfte erreichen können.  

Eine Studie aus 2022 zeichnet ein verheerendes Bild, wonach sich nur 30 % der Ärzt·innen und Pflegekräfte vorstellen können, ihren Beruf bis zur Rente auszuführen. Wie äußerst sich diese Wahrnehmung der Branche im Recruiting? 

Das schwingt natürlich dauerhaft mit. Viele Mitarbeitende haben in Ihrer Laufbahn in dieser Branche schon negative Erfahrungen gemacht – hier ist es schlichtweg entscheidend, dass Sie als Arbeitgeber ein gutes Bild abgeben und ein gutes Umfeld bieten. Das ist auch die Grundvoraussetzung, um erfolgreich rekrutieren zu können.  

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Insgesamt spielt auch hier der Fachkräftemangel hinein: Es gibt zumeist einfach zu wenige Menschen für das, was zu tun ist. Und das wiederum wirkt sich auf das Arbeitsumfeld aus. Für Sie im Recruiting bedeutet das wiederum, dass Sie noch viel stärker aufzeigen müssen, was Sie als Unternehmen bieten, um ein positives Arbeitsumfeld zu schaffen. Nicht selten wird etwa in ersten Gesprächen nach Ihrer Personalstruktur oder Dergleichen gefragt.  

Studien wie diese zeigen vor allen Dingen, dass die Attraktivität der Branche aus Arbeitnehmer·innen-Sicht vielfach zu wünschen übriglässt. Welche Maßnahmen sollten Unternehmen in diesem Bereich setzen, um sich als Arbeitgeber in dieser schwierigen Branche dennoch positiv zu positionieren?  

Eine wesentliche Empfehlung, und das gilt eigentlich für fast alle Bereiche, ist es, erstmal gut hinzuhören. Ich empfehle, hier stark mit Umfragen und Feedback zu arbeiten. Klären Sie zunächst einmal intern, was Ihre Mitarbeitenden wirklich möchten. Dann setzen Sie aktiv Maßnahmen, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Und wenn das nicht möglich ist, dann müssen Sie zumindest nachvollziehbar machen, wieso diese Maßnahmen in Ihrem Unternehmen nicht umsetzbar sind. Wenn sie entsprechende Verbesserungen umgesetzt haben, dann sollten Sie diese natürlich auch nach außen kommunizieren.  

Zudem müssen Betriebe einfach alles daran setzen, eine angespannte Personalsituation zu verhindern – denn diese wiederum verstärkt auch alle anderen Probleme. Ich denke hier etwa an Traineeships oder allgemeine Bewusstseinsbildung für eine Karriere in der Gesundheits- und Pflegebranche. Hier gilt es etwa, transparent aufzuzeigen, welche fachlichen und beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten es gibt. Denn diese sind branchenfremden Menschen oftmals gar nicht bewusst.  

Du hast das Thema Benefits bereits angesprochen: Die Etablierung von Benefits wie Home-Office, Workation & Co stellen in Gesundheit und Pflege natürlich eine Unmöglichkeit dar. Welche alternativen, ganz konkreten Benefits siehst du in diesem Bereich als besonders relevant?  

Viele der Benefits, die ich empfehlen würde, sind in Wahrheit gar keine Benefits und sollten eigentlich selbstverständlich sein. Leider ist das in der Praxis oftmals aber nicht der Fall. Ganz zentral sehe ich etwa die Gestaltung des Pausenraums, wo zumeist auch die Übergaben im Schicht-Dienst stattfinden. Dieser sollte tatsächlich einen Rückzugsort darstellen, ausreichend Platz bieten und ansprechend ausgestattet sein.  

Auch das Thema Verpflegung ist ein wichtiges: Eine Kantine mit Zuschlag vonseiten des Unternehmens etwa kommt hier sehr gut an. Insgesamt ist es aber schwer, eine pauschale Empfehlung auszusprechen. Ich würde vielmehr daran appellieren, hier die Mitarbeitenden sehr stark miteinzubeziehen, um deren tatsächliche Bedürfnisse zu berücksichtigen.  

Die demographische Entwicklung bewirkt, dass Prognosen zufolge bis 2035 bis zu 1,8 Mio. Stellen in der Branche unbesetzt sein dürften. Wie sollten sich Unternehmen im Recruiting bereits heute aufstellen, um dieser Challenge in Zukunft gewachsen zu sein? 

Natürlich ist das eine ganz schwierige Situation, die das Recruiting auf Unternehmensebene alleine kaum meistern kann. Gleichzeitig ist es selbstverständlich entscheidend, sich in der Personalgewinnung modern und gut aufzustellen, um unter diesen Umständen bestehen zu können.  

Daneben wird es aus meiner Sicht aber auch entscheidend sein, mit den gängigen Klischees in der Branche aufzuräumen. Man muss zeigen, dass die Arbeit hier sehr erfüllend sein kann, schließlich hat man die Möglichkeit, anderen Menschen zu helfen – und damit gesellschaftlich einen wirklichen Beitrag zu leisten.  

Heute bist du bei der New Work SE im klassischen White-Collar-Umfeld im Recruiting tätig. Wo liegen für dich die wesentlichsten Unterschiede zum Recruiting in der Gesundheitsbranche und der Pflege? 

Die Unterschiede beginnen bereits in der Ansprache: Wir agieren hier nahezu ausschließlich digital, während analoge Maßnahmen in der Gesundheits- und Pflegebranche weiterhin eine wichtige Rolle spielen.  

Darüber hinaus sind auch die Ansprüche und Werteverständnisse der Kandidat·innen andere. Benefits, die im White-Collar-Bereich völlig normal sind, spielen in der Gesundheits- und Pflegebranche überhaupt keine Rolle.  

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Wo es Gemeinsamkeiten gibt, sind etwa Projekte wie die Umsetzung eines Bewerbungsprozesses, der ohne Lebenslauf auskommt, wie wir ihn zuletzt auch bei der New Work SE für bestimmte Positionen etabliert haben. So etwas funktioniert auch im Blue-Collar-Bereich ausgezeichnet – hier sollten sich viele Unternehmen Gedanken machen, einen solchen Prozess zu realisieren.  

Du kennst also „beide Welten“: Wie könnte aus deiner Sicht eine Recruiting-Strategie aussehen, die die Personalgewinnung von diversen Berufsgruppen – Büroarbeitsplatz oder nicht – zielgerichtet kombiniert? 

Das machen bereits sehr viele Unternehmen, die in diesen Branchen tätig sind, weil neben den Pflegeberufen  auch Positionen in den Zentralen zu besetzen sind. Der wichtigste gemeinsame Nenner ist zweifelsohne der Purpose der Arbeit in diesem Bereich. Dieser lässt sich für beide Seiten ausgezeichnet erzählen.  

In der Employer-Branding-Kommunikation sollte man also sehr stark darauf setzen, den gesellschaftlichen Mehrwert des Unternehmens, aber auch der Branche zu erzählen. Darüber hinaus ist es empfehlenswert, auch eine Zukunftsvision zu teilen und die Frage zu beantworten: Wo will das Unternehmen hin? 

Bei den konkreten Recruiting-Prozessen müssen Unternehmen ihr Vorgehen aber jedenfalls an die Anforderungen für die konkrete Position anpassen – sowohl mit Blick auf die Kanäle für Kandidat·innen-Suche als auch den Bewerbungsprozess an sich. Wer hier einen auf die Bedürfnisse der jeweiligen Berufsgruppe angepassten Prozess bietet, der hat einen entscheidenden Vorteil.  

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